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OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 07.03.2019 – 6 U 37/18
Markenrechtliche Zulässigkeit von Verpackungsveränderungen bei Parallelimport von Medizinprodukten

7. März 2019

Rechtsprechung Markenrecht
(Bild: sergign)

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 2.2.2018 verkündete Urteil der 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

A.

Die Parteien streiten über markenrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit dem Parallelimport von Medizinprodukten.

Die Klägerin vertreibt in Deutschland unter der Marke „X“ Produkte zur Wundversorgung. Unter anderem vertreibt sie das Produkt „X1 …“. Es handelt sich um ein Medizinprodukt, das mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist und über Apotheken vertrieben wird.

Die Unionswortmarke X mit Priorität vom 13.11.1998 ist unter anderem für pharmazeutische Erzeugnisse, Präparate für die Gesundheitspflege, Pflaster, und Verbandsmaterial eingetragen (Anlage K 1). Die nationale Wortmarke X1 mit Priorität vom 02.10.1999 ist für Verbandsmaterial eingetragen (Anlage K 1). Die Markeninhaberin ermächtigte die Klägerin mit Vereinbarung vom 07.09.2016, als exklusive Lizenznehmerin der X-Marken in der Bundesrepublik Deutschland Ansprüche aus den Marken im Bundesgebiet geltend zu machen und durchzusetzen (Anlage K 2).

Die Beklagte übersandte unter dem 19.11.2015 den im Markenregister eingetragenen Zustellungsbevollmächtigten der Markeninhaberin ein Muster des Produkts „X1 … Lipidkolloid-Wundauflage“, um anzukündigen, in welcher Weise sie den Vertrieb dieses aus Spanien parallel importierten Produkts beabsichtigt (Anlage K 3, K 4). Sie versieht die Produkte demnach mit einer Gebrauchsinformation in deutscher Sprache. Sie entfernt die von der Klägerin auf der Umverpackung aufgebrachten Angaben zur Haltbarkeit und zur Charge und ersetzt sie durch einen Aufkleber mit eigenen Angaben. Auf dem Aufkleber findet sich außerdem die Pharmazentralnummer (PZN) der Beklagten nebst Barcode.

Die Markeninhaberin widersprach dem Vertrieb mit Anwaltsschreiben vom 13.1.2016 (Anlage K 5). Mit Schreiben vom 25.1.2016 teilte die Beklagte mit, dass sie bis auf weiteres von dem Vertrieb Abstand nehme (Anlage K 6). Unter dem 1.12.2016 übersandte sie eine neue Vorabinformation (Anlage K 7). Die Klägerin widersprach dem Vertrieb mit Anwaltsschreiben vom 14.12.2016 (Anlage K 8).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 I, 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt,

1. es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Verpackungen von Wundauflagen, die mit den Kennzeichen „X1“ und/oder „X“ gekennzeichnet sind, und ohne Zustimmung der Markeninhaberin wie nachfolgend wiedergegeben verändert worden sind (Aufkleber), abzugeben oder in den Verkehr zu bringen:

Von der Darstellung des Bildes wird abgesehen (- die Red.).

2. der Klägerin schriftlich über die Herkunft und den Vertriebsweg der umetikettierten Produkte gemäß Ziff. 1 Auskunft zu erteilen und zwar

a) durch Vorlage eines Verzeichnisses mit Angabe von Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren und der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Produkte nach Ziff. 1 sowie über die Preise, die für die betreffenden Produkte bezahlt wurden und

b) Belege zu den Angaben gemäß Ziff. 2 lit. a in Form von gut lesbaren Kopien von sämtlichen Auftragsschreiben, Auftragsbestätigungen, Lieferscheinen und Rechnungen übergeben.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden Schaden zu ersetzen, der dieser durch Handlungen gemäß Z. 1 entstanden ist und/oder noch entstehen wird.

Das Landgericht hat ausgeführt, ein Markeninhaber könne einen Dritten grundsätzlich daran hindern, von ihm selbst auf den Markt gebrachte Erzeugnisse neu zu etikettieren und in dieser Form zu vertreiben. Ein Eingriff in die Markenrechte sei grundsätzlich mit jeder Neuetikettierung oder sonstigen Veränderung der Verpackung verbunden. Den markenrechtlichen Ansprüchen stünde der nicht Einwand der Erschöpfung entgegen. Es sei nicht hinreichend dargetan, dass ein Verbot des Vertriebs der umgepackten, mit eigener PZN und eigenem Barcode versehenen Waren zu einer künstlichen Abschottung der Märkte führe. Es könne nicht angenommen werden, dass die Beklagte ohne Aufbringung ihrer PZN vom Vertrieb an den Großhandel ausgeschlossen sei. Der Unterlassungsanspruch der Klägerin sei auch nicht verwirkt.

Gegen diese Beurteilung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung mit der sie ihr Klageabweisungsbegehren weiterverfolgt. Im Berufungsrechtszug wiederholen und vertiefen die Parteien ihr Vorbringen. Die Beklagte behauptet, der neue Rahmenvertrag nach § 131 SGB V stelle explizit klar, dass bei Medizinprodukten, die zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden können, die Kennzeichnung mit einer PZN vorgeschrieben ist (Anlage BK1).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. Februar 2018, Az. 3 – 10 O 50/17 aufzuheben.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, mit der Maßgabe, dass im Tenor zu 1. des angefochtenen Urteils hinter „im geschäftlichen Verkehr“ eingefügt wird „in der Bundesrepublik Deutschland“ und dass im Tenor zu 1. des angefochtenen Urteils hinter „(Aufkleber)“ eingefügt wird „und in die eine neue Gebrauchsinformation in deutscher Sprache eingelegt worden ist und auf der das vorhandene Etikett mit den Marken X und X1l durch ein Etikett in deutscher Sprache – sei es durch Aufkleben, sei es durch Entfernung und Aufbringung eines neuen Etiketts – ersetzt worden ist.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

I. Der formal nur auf Aufhebung des landgerichtlichen Urteils gerichtete Antrag der Berufungsführerin war dahingehend auszulegen, dass sie ihren erstinstanzlich gestellten Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang der Berufungsbegründung, mit der sie eine Markenverletzung insgesamt in Abrede stellt.

II. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus Art. 9 II lit. a, 130 I UMV, § 14 V, II Nr. 1 MarkenG auf Unterlassung der Benutzung der angegriffenen Bezeichnungen zu.

1. Die Klägerin ist als exklusive Lizenznehmerin der Unionswortmarke „X“ und der nationalen Wortmarke „X1“ aktiv legitimiert. Sie wurde von der Markeninhaberin ermächtigt, markenrechtliche Ansprüche in Deutschland geltend zu machen (Anlage K2).

2. Es liegt ein Fall der Doppelidentität vor. Die Klagemarken sind u.a. für „Verbandsmaterial“ eingetragen. Die Beklagte importiert und vertreibt Wundauflagen unter identischen Bezeichnungen aus Spanien. Die angegriffene Ausführungsform ergibt sich aus Anlage K4 sowie aus dem Tenor des angefochtenen Urteils.

3. Die Beklagte kann sich jedoch mit Erfolg auf die Erschöpfung (Art. 15 I UMV = Art. 13 I UMV a.F., § 24 MarkenG) des Verbietungsrechts aus den Marken berufen. Die Produkte wurden erstmals mit Zustimmung der Markeninhaberin in der Europäischen Union in den Verkehr gebracht. Die Klägerin kann sich dem weiteren Vertrieb nicht wegen der von der Beklagten vorgenommen Veränderungen widersetzen. „Berechtigte Gründe“ i.S.d. Art. 15 II UMV = Art. 13 II UMV a.F., § 24 II MarkenG liegen nicht vor.

a) Dies wäre der Fall, wenn die Veränderung des Originalprodukts tatsächliche Gefahren für die Herkunftsgarantie der Markenware begründen würden. Eine solche Beeinträchtigung ist anzunehmen, wenn der Parallelimporteur die Markenware entweder neu verpackt und die Marke wieder darauf anbringt oder ein Etikett auf der Verpackung der Ware anbringt. Der Markeninhaber kann sich dem Vertrieb des veränderten Produkts gleichwohl nicht widersetzen, wenn die – vom Landgericht im Einzelnen aufgeführten – für den Parallelimport von Arzneimitteln und Medizinprodukten entwickelten besonderen Erschöpfungs-Voraussetzungen erfüllt sind. Ob bei Medizinprodukten auf die Anzeige- und Bemusterungspflicht verzichtet werden kann (zu uneingeschränkter Anwendung neigend BGH GRUR 2017, 71 Rn. 18 – Debrisoft; offen gelassen in EuGH GRUR 2018, 736 – Debrisoft), kann dahinstehen, da die Beklagte diese Anforderungen erfüllt hat. Im Übrigen muss insbesondere erwiesen sein, dass die Geltendmachung der Marke gegenüber dem Vertrieb der umgepackten Waren zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten und damit zu einer verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 36 Satz 2 AEUV beitragen würde (EuGH GRUR 2007, 586 Rn. 37 Boehringer Ingelheim/Swingward II; EuGH, Urt. v. 17.5.2018, C-642/16, Rn. 25; BGH GRUR 2017, 71 [BGH 06.10.2016 – I ZR 165/15] Rn. 15 – Debrisoft). Die konkrete Art des Umpackens muss zudem unter Beachtung der berechtigten Interessen des Markeninhabers erfolgen. Dies setzt voraus, dass das Umpacken den Originalzustand des Arzneimittels nicht beeinträchtigt und den Ruf der Marke nicht schädigt (EuGH GRUR 2007, 586 [OLG Naumburg 26.06.2006 – 10 U 11/06] Rn. 17 Boehringer Ingelheim/Swingward II; EuGH, Urt. v. 17.5.2018, C-642/16, Rn. 26).

b) Im Streitfall ist zwar von einem „Umpacken“ auszugehen (vgl. unten aa), die Ausübung des Widerspruchsrechts würde aber zu einer verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten führen (vgl. unten bb). Der konkreten Art der Verpackungsgestaltung stehen keine berechtigten Interessen der Markeninhaberin entgegen (vgl. unten cc).

aa) In den Veränderungen des Originalprodukts der Klägerin durch die Beklagte liegt ein „Umpacken“ im Sinne der arzneimittelrechtlichen Erschöpfungsrechtsprechung. Die Beklagte versah das Originalprodukt nicht nur mit einem Aufkleber, der mit einem Barcode, ihrer eigenen PZN und einem Hinweis „Umpackung, Import und Vertrieb: A GmbH“ versehen ist (Anlage K4), sondern tauschte auch die originale Packungsbeilage durch eine solche (nur) in deutscher Sprache aus. Zu diesem Zweck musste die Verpackung geöffnet werden. Es liegt also ein klassischer „Umpack-Fall“ vor, nicht nur ein sog. „Umpacken durch Neuetikettierung“. Durch das Öffnen der Packung und den Austausch der Packungsbeilage wurden Gefahren für die Herkunftsgarantie der Herstellermarke begründet (vgl. BGH GRUR 2010, 756 [BGH 12.05.2010 – I ZR 185/07] Rn. 20 – One Touch Ultra).

bb) Die Klägerin kann sich dem weiteren Vertrieb der auf diese Weise veränderten Originalpackungen gleichwohl nicht widersetzen, weil die Geltendmachung der Rechte aus der Marke zu einer künstlichen Abschottung der nationalen Märkte führt.

(1) Von einer künstlichen Marktabschottung ist auszugehen, wenn Regelungen oder Praktiken im Einfuhrland den Vertrieb der Ware in der unveränderten Originalverpackung verhindern; dagegen ist die Erforderlichkeit für das Umpacken bzw. die Neuetikettierung nicht gegeben, wenn der Parallelimporteur damit lediglich einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen möchte (Senat, PharmR 2017, 304, Rn. 6; EUGH GRUR 2007, 586, Rn. 36, 37 – Boehringer Ingelheim-Swingward II). Die Anforderungen an eine objektive Zwangslage in diesem Sinne dürfen nicht überspannt werden. Sie liegen nicht erst dann vor, wenn ohne das Umpacken der Vertrieb auf sämtlichen Vertriebskanälen im Inland ausgeschlossen ist. Es reicht aus, wenn der Parallelimporteur nur von einem Teilmarkt im Einfuhrmitgliedstaat ausgeschlossen wird (BGH MarkenR 2014, 265, Rn. 15 – Micardis, m.w.N.). Dies wird schon dann angenommen, wenn der Importeur ohne das Umpacken eine von zwei gängigen Packungsgrößen nicht anbieten kann (BGH aaO). Nichts anderes kann gelten, wenn der Importeur von einem bestimmten wichtigen Vertriebskanal, etwa dem Großhandel, ausgeschlossen wird.

(2) Im Streitfall ergibt sich die Erforderlichkeit für das Umpacken bereits daraus, dass das Produkt ohne Gebrauchsinformation in deutscher Sprache in Deutschland nicht verkehrsfähig wäre. Die weiteren Veränderungen (Angabe der eigenen PZN, Barcode, Neuaufbringung von LOT-Nr. und Verfallsdatum) betreffen die konkrete Art und Weise des Umpackens. Insoweit kommt es nicht auf die Erforderlichkeit an. Die Voraussetzung der Erforderlichkeit betrifft nur das Umpacken als solches (EuGH GRUR 2007, 586 [OLG Naumburg 26.06.2006 – 10 U 11/06] Rn. 38 – Boehringer Ingelheim/Swingward II). Es kommt vorliegend nicht darauf an, ob die Beklagte ohne Aufbringung ihrer eigenen PZN die importierten Produkte nicht im Großhandel platzieren kann und ob auch aus diesem Gesichtspunkt eine Marktabschottung zu befürchten ist.

cc) Der konkreten Art der Verpackungsgestaltung der Beklagten stehen keine berechtigten Interessen der Markeninhaberin entgegen.

(1) Ohne Erfolg wendet sich die Klägerin gegen die Anbringung eines Aufklebers mit der eigenen PZN des Importeurs und eines entsprechenden Barcodes. Nach der Rechtsprechung des EuGH stellen entsprechende Aufkleber auf der Umverpackung – für sich genommen – schon keine Veränderung des Originalprodukts i.S.d. Art. 15 II UMV / § 24 II MarkenGdar (EuGH GRUR 2018, 736 – Debrisoft). Hierfür kann demnach auch keine Rechtfertigung verlangt werden (vgl. Senat, GRUR 2018, 1151 Rn. 36 – Urgo Tül). Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, die Entscheidung des EuGH bezöge sich nur auf kleine Aufkleber (vgl. EuGH GRUR 2018, 736 Rn. 34 – Debrisoft). Bei der streitgegenständlichen Packung handelt es sich ebenfalls um einen kleinen Aufkleber (Anlage K4). Der Umstand, dass vorliegend im Unterschied zu dem vom EuGH entschiedenen Fall aus anderen Gründen von einem „Umpacken“ auszugehen ist, führt hinsichtlich der Angabe der PZN und des Barcodes zu keiner abweichenden Beurteilung. Diese Veränderung betrifft lediglich die Art und Weise des Umpackens. Insoweit ist nur zu prüfen, ob der Originalzustand des Arzneimittels beeinträchtigt oder der gute Ruf der Marke geschädigt wird. Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

(2) Der gute Ruf der Marke wird auch nicht dadurch geschädigt, dass der Aufkleber der Beklagten unten rechts neben dem Barcode die Angabe einer Chargennummer (LOT) sowie ein Verfallsdatum (2017.11) enthält (Anlage K4). Entgegen der Ansicht der Klägerin wird der Verkehr nicht annehmen, dass diese Angaben vom Hersteller aufgebracht wurden. Der Aufkleber weist unmissverständlich darauf hin, dass er von dem umpackenden Unternehmen stammt. Der Verkehr wird allerdings davon ausgehen, dass die Angaben mit den Hinweisen des Herstellers auf der Originalpackung übereinstimmen. Die Klägerin beanstandet, dass sie es nicht in der Hand habe, ob insoweit Fehler passieren. In der Tat könnte es die Herkunftsgarantie der Marke beeinträchtigen, wenn der Beklagten Fehler in dem sicherheitsrelevanten Bereich der Haltbarkeit unterlaufen. Inhaltlich werden die Informationen auf den Aufklebern, soweit sie gesetzlich vorgeschrieben sind, vom Verkehr der Klägerin als Herstellerin zugerechnet (vgl. BGH GRUR 2013, 739 [BGH 22.11.2012 – I ZR 72/11] Rn. 43 – Barilla). Diese – rein abstrakte – Gefahr ist jedoch hinzunehmen.

(a) Ist das Umpacken erforderlich, um die reimportierten Produkte im Inland verkehrsfähig zu machen, kann es sogar zulässig sein, das Arzneimittel oder Medizinprodukt in komplett neu hergestellte Schachteln umzupacken (vgl. EuGH GRUR 2018, 736 Rn. 32 – Debrisoft). Das Haltbarkeitsdatum und die Chargennummer müssen auch in diesem Fall notwendigerweise auf die neue Packung übertragen werden. Vorliegend war der ursprüngliche Aufkleber der Klägerin in spanischer Sprache verfasst, mit einem Barcode versehen und wies eine Kontaktadresse in Barcelona aus (Berufungserwiderung S. 11, 40; Bl. 392, 421 d.A.). Er konnte zur Vermeidung von Missverständnissen nicht auf der Packung belassen werden.

(b) Es ist nicht ersichtlich, dass im konkreten Fall das Haltbarkeitsdatum nicht mit der Herstellerangabe übereinstimmt. Die Klägerin zweifelt dies an, ohne konkrete Umstände für ihre Zweifel aufzuzeigen. Damit hat sie ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt. Die Voraussetzung, dass die Aufmachung der Ware nicht den Ruf der Marke und ihres Inhabers schädigen kann, hat zwar grundsätzlich der Parallelimporteur zu beweisen. Es genügt aber, wenn er Umstände darlegt, die vernünftigerweise vermuten lassen, dass diese Voraussetzung erfüllt ist. Es ist dann Sache des Markeninhabers konkrete Umstände nachzuweisen, wonach das Umpacken seinen Ruf und den der Marke schädigen kann (EuGH GRUR 2007, 586 [OLG Naumburg 26.06.2006 – 10 U 11/06] Rn. 54 Boehringer Ingelheim/Swingward II). Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Chargennummer (LOT) und das Verfallsdatum identisch übernommen wurden (BB S. 7). Dies ist ausreichend. Konkrete Umstände, die etwas anderes nahelegen, sind nicht dargelegt.

(3) Entgegen der Ansicht der Klägerin erfordert die Anbringung des Haltbarkeitsdatums und der Chargennummer auch kein erneutes Konformitätsbewertungsverfahren. Ein Parallelimporteur eines Medizinprodukts, das mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist und Gegenstand einer Konformitätsbewertung im Sinne des Art. 11 der Richtlinie 93/42/EWGwar, ist grundsätzlich nicht zur Durchführung einer neuen Bewertung verpflichtet, um die Konformität der seine Ermittlung ermöglichenden Informationen, die er der Produktetikettierung im Hinblick auf das Inverkehrbringen im Einfuhrmitgliedstaat hinzufügt, zu bescheinigen (EuGH GRUR 2017, 102 Rn. 39 – Lohmann & Rauscher/BIOS Medical Services). Die Pflicht zur Durchführung der Konformitätsbewertung gemäß Art. 11 der Richtlinie 93/42gilt nur für die Hersteller. Kauft ein Importeur in einem Mitgliedstaat Medizinprodukte, nachdem sie von ihrem Hersteller in der Union in den Verkehr gebracht worden sind, um sie danach in einem anderen Mitgliedstaat unter dem Herstellernamen wieder zu verkaufen, ist er nicht als Hersteller anzusehen. Hersteller ist nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie die natürliche oder juristische Person, die für die Auslegung, Herstellung, Verpackung und Etikettierung eines Produkts im Hinblick auf das Inverkehrbringen im eigenen Namen verantwortlich ist. Nach der Entscheidung des EuGH reicht es hierfür nicht, wenn die Verpackung lediglich dadurch verändert wird, dass ein Aufkleber angebracht wird, der den Importeur unter Angabe seiner Koordinaten sowie eines Produktidentifizierungscodes als Verantwortlichen für das Inverkehrbringen ausweist (EuGH aaO Rn. 32). Nichts anderes kann gelten, wenn auf den neuen Aufkleber weitere Informationen eines ursprünglichen Herstelleraufklebers lediglich übertragen werden. Zu den nach der Medizinprodukte-Richtlinie vom Hersteller bereitzustellenden Informationen gehören die Chargennummer und das Haltbarkeitsdatum (Anhang I Ziff. 13.3 d, e RiLi 93/42/EWG). Sofern der Importeur insoweit keine eigenen Angaben verwendet, sondern lediglich die Herstellerangaben auf einen eigenen Aufkleber überträgt, ist er nicht selbst als Hersteller anzusehen.

(4) Berechtigte Interessen der Markeninhaberin werden durch die angegriffene Aufmachung schließlich auch nicht deshalb verletzt, weil der ursprüngliche Verpackungsaufkleber in spanischer Sprache die Zeichen „X“ und „X1“ beinhaltete (vgl. S. 11 der Berufungserwiderung, Bl. 392 d.A.). Diese Zeichen sind auf dem Aufkleber der Beklagten nicht vorhanden. Die Marken sind allerdings auch auf dem Ursprungsaufkleber lediglich im Fließtext, teilweise als Bestandteil der Firma der spanischen Vertriebsgesellschaft, wiedergegeben. Sie haben für die Kennzeichnung des Produkts keine nennenswerte Bedeutung. Die Klagemarken finden sich weiterhin auf allen Verpackungsseiten an prominenter Stelle. Diese Kennzeichnungen hat die Beklagte nicht verändert. Bei dieser Sachlage liegt insbesondere kein Fall vor, in welchem im Sinne der „Debrisoft“-Entscheidung des EuGH „die Marke verdeckt“ wird (a.a.O. Rn. 35).

III. Mangels einer Markenverletzung bestehen auch nicht die vom Landgericht zugesprochenen Folgeansprüche auf Auskunftserteilung und Schadensersatz.

IV. Einer Vorabentscheidung des EuGH bedurfte es nicht. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass die vom EuGH für den Parallelimport von Arzneimitteln aufgestellten Erschöpfungsvoraussetzungen jedenfalls auf solche Medizinprodukte Anwendung finden, die durch den Austausch der Gebrauchsanleitung umgepackt wurden (vgl. BGH GRUR 2010, 756 [BGH 12.05.2010 – I ZR 185/07] Rn. 20 – One Touch Ultra). Entgegen der Ansicht der Klägerin bedarf es nach der EuGH-Entscheidung „Debrisoft“ auch keiner Klärung mehr, ob sich der Markeninhaber dem Vertrieb widersetzen kann, wenn zusätzlich zum Austausch der Packungsbeilage auf der Umverpackung ein Etikett mit Barcode und PZN des umpackenden Unternehmens aufgebracht wird. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden.

V. Der von der Klägerin beantragte Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz der Gegenseite vom 28.2.2019 war nicht zu gewähren, da dieser Schriftsatz kein neues entscheidungserhebliches Vorbringen beinhaltete.

VI. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere musste die Revision nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Stuttgart vom 28.6.2018 (2 U 105/17, Anlage K52) zugelassen werden. Sollte daraus hervorgehen, dass das OLG Stuttgart die Reichweite der EuGH-Entscheidung „Debrisoft“ anders als der entscheidende Senat beurteilt, muss jedenfalls berücksichtigt werden, dass die Entscheidung in einem Eilverfahren erging und damit vorläufigen Charakter hat. Sie bezog sich außerdem auf die Besonderheiten und Glaubhaftmachungsmittel des dortigen Sachverhalts.

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